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In der Schule der Lehrer, privat ein Freund

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In der Schule der Lehrer, privat ein Freund

Porträt | 12. Mai 2020

Patrik Wirz unterrichtet an einer neu eröffneten Urner Schule im ägyptischen El Gouna. Er erzählt von seinen Erlebnissen und dem Alltag in einer Schule, die doch ziemlich anders ist als das, was wir in der Schweiz kennen.

Wie kommt es, dass ein Schweizer Heizungszeichner an einer Schweizer Schule in Ägypten landet? Die Antwort von Patrik Wirz lautet: dank Beziehungen.

El Gouna wurde vor 30 Jahren vom ägyptischen Milliardär ­Samih Sawiris am Rande Ägyptens auf sandigem Nichts erbaut. In dem Städtchen am Roten Meer, 25 Kilometer von ­Hurghada entfernt, gelten andere Regeln als im restlichen Ägypten, hier geniessen die Bewohner mehr Freiheiten. Patrik Wirz kennt das Städtchen des ägyptischen Gross­investors, der im Urner Bergdorf Andermatt ein Luxus­hotel und diverse Bergbahnen gebaut hat, seit vielen Jahren. «Ich war regelmässig in den Ferien dort, zum Kitesurfen», erzählt der bald 50-jährige Luzerner. «Dadurch kannte man mich in El Gouna.» Die Einwohner wussten auch, dass sich Patrik Wirz zum Lehrer umschulen liess. «Ich wollte immer mit Kindern arbeiten. 2015 habe ich den Sprung an die PH gewagt und die Ausbildung 2018 abgeschlossen. Und ging direkt nach der PH nach El Gouna.»

Die Schule in El Gouna, die mit dem Kanton Uri kooperiert, wurde erst 2017 gegründet. Sie besteht aus einem Kindergarten und einer Primarschule. Dank seiner Kontakte bekam Wirz sofort eine Stelle. Die ersten Monate unterrichtete er in einem umfunktionierten Gebäude, wo es im zweiten Betriebsjahr relativ eng wurde. Inzwischen ist die neue Schule mit deutlich mehr Platz fertiggestellt.

Probleme am Zoll

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Patrick Wirz setzt in Ägypten Lehrmittel des Klett und Balmer Verlags ein.

Neben den räumlichen Verhältnissen war anfangs auch die Beschaffung der Lehrmittel eine Herausforderung. Von einer pensionierten Lehrperson in der Schweiz durfte die Schule in Ägypten die Lehrwerke übernehmen, 600 Kilo Material, das per Container nach Ägypten verfrachtet wurde – und prompt am Zoll in Alexandria hängen blieb. «Die Vorgabe war, dass wir keine CD-ROMs und nichts Religiöses einführen durften», sagt Patrik Wirz. Und obwohl er und Kollegen die Fracht vor dem Transport genau inspiziert hatten, waren die ägyptischen Zöllner noch genauer. «Sie fanden CD-ROMs, die in den Begleitbänden eingelegt waren – und eine ‹Waffe›.» Es stellte sich dann heraus, dass es sich dabei um eine Papierschneidemaschine handelte. Schliesslich gelang es dem umtriebigen Schweizer, die Ware am Zoll herauszulösen.

Derzeit unterrichtet er sieben Kinder altersdurchmischt von der 4. bis zur 6. Klasse. Zum Einsatz kommen diverse Lehrwerke aus dem Klett und Balmer Verlag, etwa «Die Buchstabenreise», «Die Sprachstarken», das «Schweizer Zahlenbuch». Patrik Wirz: «Ich wurde an der PH genau auf diesen Lehrwerken ausgebildet.»

Insgesamt arbeiten sechs Lehrpersonen aus der Schweiz, aus Deutschland und Österreich im Kindergarten und in der Primarschule. Ergänzt wird das Team durch weitere lokale Lehrpersonen, die Arabisch und Englisch unterrichten. «Die Eltern sind froh und dankbar, können sie ihre Kinder in unsere Schule schicken», sagt ­Patrik Wirz. Er hingegen schätzt es, eine so kleine Klasse zu unterrichten und Zeit für jedes Kind zu haben. Oft sei die Mutter der Kinder Schweizerin oder Deutsche, der Vater Ägypter. Aber sie haben auch Schülerinnen und Schüler, bei denen beide Elternteile Ägypter sind. Einige «Zug­vögel», wie Patrik Wirz sie nennt, sind ebenfalls dabei: Die Eltern kommen zum Beispiel aus Südamerika, arbeiten ein paar Jahre in El Gouna und ziehen dann weiter.

Mit der Schülerin ins Kino

Die Arbeit als Lehrer in El Gouna ist spannend und abwechslungsreich. Auch wenn der Lohn viel tiefer ist als in der Schweiz, lässt es sich damit in El Gouna ziemlich gut leben. Da er Ende Monat aber nichts auf die Seite ­legen kann, möchte Patrik Wirz sich nach ein paar Jahren nach einer anderen Anstellung umschauen. Sein Ziel ist, den Job drei bis fünf Jahre zu machen und danach weiterzuschauen. Ihm gefallen die Leute, die «total easy» seien, und das immer sonnige Wetter. Sogar im Winter reiche oft ein T-Shirt.

Auch der Umgang zwischen Lehrpersonen und Kindern sei deutlich lockerer als in der Schweiz. «El Gouna ist klein, als Lehrperson wird man an den Geburtstag der Kinder eingeladen.» Oder eine Sechstklässlerin wollte mit ihm allein ins Kino. Undenkbar in der Schweiz. Patrik Wirz fragte bei den Eltern nach, die sahen kein Problem darin. Ein Schüler habe ihr Verhältnis mal gut auf den Punkt gebracht, indem er sagte: «In der Schule bist du mein Lehrer, privat bist du mein Freund.»

Ebenfalls lockerer geregelt als in der Schweiz ist zurzeit das Absenzenwesen. «Manchmal fehlt ein Kind einfach, weil es Verwandte in Kairo besucht. Oder jemand geht früher in die Weihnachtsferien und kommt später zurück. So ist es mitunter schwierig, den Stoff durchzubringen.» Deshalb wird die Absenzenregelung nun aber den Schweizer Verhältnissen angepasst.

Unterricht im Freien

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Das Unterrichten gefällt dem gebürtigen Horwer sehr gut. Er schafft es, die Kinder zu motivieren, sodass sie gerne in die Schule gehen. Das würden auch die Eltern bestätigen. Und durch die kleine Klasse hat er Zeit, sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren, kann spannende Lektionen vorbereiten und den Unterricht sorgfältig nachbereiten, da lange Sitzungen, schwierige Elterntermine und dergleichen entfallen. Oft findet sein Unterricht draussen statt. Sie gehen in die Wüste, kitesurfen, aufs Meer Delfine beobachten oder säubern einen Nachmittag lang den Strand von Plastik. Ideen hat der Schweizer Lehrer viele – und in Ägypten kann er sie meist auch umsetzen. Man spürt, dass ihm die Arbeit sehr viel Spass macht.

Gibt es etwas, das er vermisst? Seine Freunde und Familie natürlich, sagt der Vater von zwei erwachsenen Kindern. Er gehe gerne in den Bergen biken, in El Gouna gebe es aber nur die Wüste, man ist immer an der prallen Sonne. Und das kulturelle Angebot sei etwas mager.

Was er nach El Gouna macht, weiss Patrik Wirz noch nicht. «Ich wünsche mir, in der Schweiz ebenfalls eine Schule zu finden, die mir die Möglichkeit gibt, so flexibel wie bisher zu unterrichten.» Noch hat er Zeit, sich zu entscheiden. Von den geplanten drei bis fünf Jahren sind knapp zwei um.


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