- Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE)
Nachhaltige Entwicklung (BNE)
Visionär und realistisch – BNE als Denkschule
Nachhaltige Entwicklung ist ein Thema, das in der Gesellschaft viel diskutiert und in den Schulen immer präsenter wird. Lehrpersonen sind entsprechend gefordert. Unterstützung bietet ihnen das nationale Kompetenzzentrum éducation21 – ein Gespräch mit Direktorin Klára Sokol.
- Veröffentlicht:15.09.2022
- Autorin:Pascale Lötscher
- Bild:Louis Rafael Rosenthal
Mit BNE erwerben Kinder und Jugendliche die Kompetenzen, mit denen sie an einer zukunftsfähigen Entwicklung teilhaben können.Klára Sokol, Direktorin von éducation21
Zunächst: Wer ist und was macht éducation21?
Klára Sokol: Wir agieren als nationales Kompetenzzentrum und Fachagentur der EDK für Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE). Im Auftrag der Kantone und des Bundes treiben wir die Umsetzung und Verankerung der BNE in Schule und Unterricht sowie in der Aus- und Weiterbildung voran. Unsere Zielgruppen sind Lehrpersonen und Schulleitungen. Dazu arbeitet éducation21 mit diversen Akteuren wie pädagogischen Hochschulen, Verlagen und ausserschulischen Akteuren wie Verbänden oder Museen zusammen.
Was bieten Sie den Lehrpersonen und Schulleitungen konkret an?
Zum Beispiel geprüfte Lernmedien. Bei Bedarf entwickeln wir einige wenige Unterrichtsmaterialien auch selbst, ergänzen sie durch Faktenblätter, Erklärvideos und bündeln sie zu sogenannten Themendossiers. Diese fassen Wissen und Anregungen zu aktuellen Themen für alle Schulstufen zusammen.
Weiter organisieren wir Veranstaltungen, bieten Orientierung und Beratung an, leisten Finanzhilfe für Schul- und Klassenprojekte und vermitteln ausserschulische Akteure. Zudem geben wir regelmässig das Praxismagazin «ventuno» heraus, von dem sich viele Schulen inspirieren lassen.
Wer steht hinter éducation21?
éducation21 ist eine privatrechtliche Stiftung, deren Aktivitäten Bund und Kantone finanzieren. Sie wurde 2013 gegründet und löste die Stiftungen Bildung und Entwicklung (SBE) und Umweltbildung Schweiz (SUB) ab. In dieser Zeit hatte sich das Konzept BNE etabliert und die Schweiz richtete sich auf die globale Agenda 2030 mit ihren Nachhaltigkeitszielen, den Sustainable Development Goals (SDGs), aus. Damals hat man die Wichtigkeit erkannt, eine solche Institution zu schaffen.
Somit feiert éducation21 also bald den zehnten Geburtstag. Wo wollen Sie in den nächsten Jahren hin?
Unsere Mission ist klar: éducation21 unterstützt Lehrpersonen darin, dass Kinder und Jugendliche die Kompetenzen erwerben, mit denen sie an einer zukunftsfähigen Entwicklung teilhaben können. Es gilt, die nächste Generation auf ein selbstständiges und selbstverantwortliches Leben in einer komplexer werdenden Welt vorzubereiten. Denn das, was als Nachhaltige Entwicklung definiert wird, verändert sich ständig – ökologisch, sozial und wirtschaftlich. Mit dieser Dynamik müssen und wollen wir Schritt halten.
Wie würden Sie Nachhaltige Entwicklung aktuell definieren – und damit Bildung für Nachhaltige Entwicklung?
Zuerst zur Definition von Nachhaltigkeit: Diese wird durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse laufend weiterentwickelt. Davon abgeleitet wird die politische Agenda, die wir als Nachhaltige Entwicklung bezeichnen – und die auf gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen fusst. In einem dritten Schritt kommen bei dieser Verkettung die Bildung dazu und die Erwartung an sie. Das ist anspruchsvoll. Aber die Schule muss auf diese Prozesse und Erwartungen reagieren, sie ist ein Abbild der Gesellschaft. Gleichzeitig bildet sie die Gesellschaft von morgen aus. Das ist das Spannungsfeld, in dem sich die Lehrpersonen befinden und in dem wir sie begleiten. Die Lehrpersonen vermitteln den Schülerinnen und Schülern die relevanten Kompetenzen und machen ihnen klar, dass sie sich hinsichtlich Nachhaltigkeit immer wieder auf neue Erkenntnisse einstellen müssen. Unsere Aufgabe besteht also nicht in der Definition von BNE, sondern darin herauszufinden, wie BNE pädagogisch und methodisch-didaktisch sinnvoll vermittelt werden kann.
Allgemein scheinen vor allem die ökologischen, vielleicht auch noch die ökonomischen Aspekte der Nachhaltigen Entwicklung wahrgenommen zu werden – zum Beispiel Recycling und Konsum. Von den sozialen Aspekten hört man aber wenig.
Ja, diese Aspekte werden oft noch zu wenig thematisiert – dabei sind etwa Demokratie, Gleichstellung, interkulturelle Verständigung und Migration eng mit den ökologischen und ökonomischen Aspekten verknüpft. Das ist historisch bedingt: Umweltthemen haben eine lange Tradition und die Gesellschaft ist stark darauf sensibilisiert. Gleichzeitig haben andere Themen dieselbe Dringlichkeit für eine Nachhaltige Entwicklung. Das machte spätestens die Pandemie deutlich, jetzt der Ukraine-Krieg. Wir arbeiten daran, dass alle 17 SDGs der Agenda 2030 ins Bewusstsein gelangen, ohne dass sie gegeneinander ausgespielt werden. Auf unserer Website stellen wir Themendossiers zur Verfügung, aktuell beispielsweise zum Ukraine-Krieg. Dieses bezieht sich auf das SDG mit der Nummer 16: «Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen».
Wie kann man bei den von Ihnen genannten akuten Krisen wie auch bei der Klimakrise verhindern, dass die Nachrichten die Kinder und Jugendlichen bedrücken und hoffnungslos machen?
Es ist wichtig, ihnen Perspektiven aufzuzeigen, wie sie handlungsfähig bleiben. Es geht darum, Visionen zu schaffen. Wie wollen wir künftig miteinander leben? Da liegt viel Potenzial. Es scheint mir wirklich zentral, dass die Nachhaltigkeitsdiskussion als Chance für unsere Gesellschaft vermittelt wird, Bestehendes neu zu denken und neu zu verhandeln, und nicht als reines Probleme-Abarbeiten gesehen wird. Sonst kann es tatsächlich zu grosser Frustration kommen. Wir müssen aufzeigen, wie sich die Herausforderungen lösungsorientiert und kreativ angehen lassen. Dabei gilt es natürlich, realistisch zu bleiben. Aber man kann etwa die genannten SDGs nehmen: Wenn ich hier versuche, dieses eine Ziel zu erreichen, und ein anderes Kind woanders auf der Welt ebenfalls, dann haben wir uns schon einen Schritt in die richtige Richtung bewegt.
BNE ist im Lehrplan 21 eine Leitidee, die in verschiedenen Fachbereichslehrplänen verankert ist. Wäre aus Ihrer Sicht ein eigenständiger Fachbereich BNE erstrebenswert?
Ich bin nicht sicher, ob es für BNE ein Gewinn oder ein Verlust wäre, als eigenständiger Fachbereich konzipiert zu werden. Mit dem Lehrplan 21 sind die Disziplinen aufgeweicht und Kompetenzen eingeführt worden. BNE ist als pädagogisches Konzept im Lehrplan 21 enthalten, das über fächerübergreifende Themen in die einzelnen Fachbereichslehrpläne einfliesst. Dieser Ansatz wird einem wichtigen Merkmal von BNE gerecht: Ein Thema soll aus verschiedenen (Fach-)Perspektiven betrachtet werden, die durchaus zu anderen oder sich widersprechenden Resultaten führen können. Nehmen wir das Beispiel Abfall. Wir können die Entsorgung von Abfall aus einer ökologischen Perspektive betrachten, Abfall als Grundlage der Kreislaufwirtschaft hat aber auch eine ökonomische Dimension und über gesundheitliche Auswirkungen von unkontrollierter Abfallentsorgung können soziale Aspekte thematisiert werden. Anhand eines Themas werden also komplexe Zusammenhänge aufgezeigt. Die Themen bilden somit interdisziplinäre Übungsfelder, die einen Zugang zu den Kompetenzen darstellen. Das funktioniert bereits bei kleinen Kindern und kann mit dem Aufbau der jeweiligen Fachkompetenzen weiter vertieft werden. Dazu trägt auch bei, dass für diese Themen die Praxis- und Handlungsorientierung zentral sind. Der Umgang mit Abfall und Recycling kann beispielsweise in der eigenen Familie, im Schulhaus oder in der Gemeinde thematisiert und praktisch umgesetzt werden.
Eine Denkschule also, die auf das Handeln abzielt?
Genau. BNE ist eine Haltung, ein Zugang. Sie dient der Bewusstwerdung und Werteschärfung. Es geht um kritisches Denken und verantwortungsvolles Handeln. Wichtig ist, dass diese Prozesse stufengerecht moderiert und begleitet werden. BNE soll dazu befähigen, sich eine Meinung zu bilden und entsprechende Handlungen zu begründen – ohne dabei auf eine bestimmte Position hinzuarbeiten. Nehmen wir als einfaches Beispiel eine Klassenfahrt. Wie reisen wir? Wollen wir CO2 einsparen, möglichst schnell oder kostengünstig an unser Ziel gelangen? Welche Aktivitäten planen wir ein? Was sind jeweils die Vor- und Nachteile? Was ist uns warum wichtig? Wie begründen und vertreten wir unsere Entscheidungen? Welche Werte haben uns dabei geleitet? Für die Beantwortung dieser Fragen braucht es als Grundlage das Fachwissen aus verschiedenen Disziplinen. Die Antworten können aber trotzdem unterschiedlich ausfallen. Deshalb braucht es auch Referenzpunkte, um die Debatte zu reflektieren.
Dabei sollen die Kinder und Jugendlichen auch verstehen, dass ihre individuellen Möglichkeiten begrenzt sind, dass sie aber dazu beitragen können, strukturell und politisch etwas zu verändern. Eine wichtige BNE-Kompetenz ist, die Möglichkeiten der Partizipation, die man hat, zu erkennen und zu nutzen. Auch das will geübt sein, methodisch angeleitet und aufgebaut. So wachsen mündige Bürgerinnen und Bürger heran.
Pascale Lötscher BNE-Botschafterin beim Klett und Balmer Verlag
Anfang 2022 hat der Klett und Balmer Verlag mit Pascale Lötscher eine BNE-Botschafterin ernannt. Sie promovierte in Philosophie, studierte im Nebenfach Mathematik und ist jetzt als redaktionelle Projektleiterin in der Lehrmittelentwicklung des Verlags tätig.
Was beinhaltet die Rolle als BNE-Botschafterin genau? «Wir wollen BNE in unseren Lehrmitteln und in der Kommunikation sichtbarer machen und systematisch stärken. BNE soll über die vielfältigen Themen und Zugänge wahrgenommen werden, die im Lehrplan 21 vorgesehen sind», so Pascale Lötscher. Dafür arbeitet sie intern mit der Redaktion und dem Marketing zusammen und steht mit verschiedenen Organisationen in Kontakt. «Den Austausch mit den verschiedenen Akteuren im Zusammenhang mit diesem hochaktuellen und zukunftsweisenden Thema empfinde ich als sehr bereichernd. Die Rolle als BNE-Botschafterin ist für mich eine Herzensangelegenheit.»
Pascale Lötscher tauscht sich zudem mit den BNE-Botschafterinnen und -Botschaftern der über 80 anderen Klett-Unternehmen in 17 Ländern aus. 2022 feiert die seit jeher familiengeführte Klett-Gruppe, zu der Klett und Balmer als eigenständiges Unternehmen gehört, ihren 125. Geburtstag. Sie hat das Jubiläumsjahr ganz ins Zeichen von BNE gestellt – wie auch wir im Klett und Balmer Verlag mit dem Ziel, diese nachhaltig in unserer Arbeit zu verankern.
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Nicole Althaus ist Kolumnistin, Autorin und Chefredaktorin Magazine der NZZ. Sie hat zuvor den Mamablog für Tagesanzeiger.ch lanciert und das Familienmagazin «wir eltern» geleitet und neu positioniert. Nicole Althaus hat zwei Töchter im Teenageralter und lebt in der Nähe von Zürich.