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So gelingt das Miteinander

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Illustration von Daniel Müller, aus «Die Buschbanditen: Gefahr für Herrn Tännli»

So gelingt das Miteinander

Checkliste Inklusion | 15. September 2022

Kinder mit Beeinträchtigungen werden öfter ausgeschlossen als andere. Mithilfe dieser Checkliste tragen Sie als Lehrperson dazu bei, dass alle Schülerinnen und Schüler am Unterricht und am Sozialleben der Klasse positiv teilhaben können.

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Jeanine Grütter, Professorin für empirische Bildungswissenschaften

Positive soziale Beziehungen sind eine wichtige Voraussetzung für das Erleben von Zugehörigkeitsgefühl – und somit essenziell für das Wohlbefinden und die aktive Teilnahme am Unterricht. Leider gelingt die Teilhabe am sozialen Geschehen einer Schulklasse nicht immer. So ist das Risiko, ausgeschlossen zu werden, für Kinder mit kognitiven oder sozialen Beeinträchtigungen bis zu vier Mal höher, wie verschiedene Studien zeigen. Was können Sie also für das soziale Miteinander in Ihrer Klasse teilhaben können.

Sechs Anregungen für die Teilhabe aller

Zur Autorin

Prof. Dr. Jeanine Grütter ist Professorin für empirische Bildungswissenschaften an der Universität Konstanz und dort zuständig für den Schwerpunktbereich Inklusion in der Lehrerbildung. Sie ist assoziiert mit der PH Luzern und dem Jacobs Center for Productive Youth Development an der Universität Zürich.

Die promovierte Psychologin beschäftigt sich mit der Entwicklung von sozialen und moralischen Kompetenzen und dem Verständnis von sozialer Gerechtigkeit in verschiedenen Kulturen. Zudem erforscht sie mit ihrem Team und ihrem internationalen Netzwerk, wie positive Peerbeziehungen in der Schule gefördert werden können und welche Rolle dabei der Lehrperson zukommt. Nützlich sind da Jeanine Grütters Praxiserfahrungen als Schulpsychologin und Lehrkraft für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

Individuelle Kompetenzen fördern

Ist es gerecht, jemanden auszuschliessen, weil die Person nicht zur Gruppe passt oder etwas weniger gut kann? Wie fühlt sich ein Kind, das ausgeschlossen wird? Solche Fragen in einem geschützten Rahmen zu diskutieren, fördert bei den Kindern die Fähigkeit zu Mitgefühl und Perspektivenübernahme.

Handlungsmöglichkeiten aufzeigen

Was kann ich tun, wenn andere Kinder gemein zu jemandem sind? Mit dieser Frage werden Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Gruppendruck oder sozialem Ausschluss besprochen. Sie können mit Rollenspielen eingeübt werden. Wichtig ist, dass Sie möglichst viel Bezug zum Alltag der Kinder herstellen und ihnen Raum geben, ihre Überlegungen, Bedenken oder eigenen Erfahrungen zu teilen.

Peerdynamiken verstehen und nutzen

Die soziale Dynamik in der Schulklasse gehört zum Verantwortungsbereich der Lehrperson. Um diese Dynamik positiv beeinflussen zu können, gilt es, davon ein konkretes Bild zu haben. Wer ist mit wem befreundet? Welche Kinder sind am beliebtesten? Wer hat am meisten zu sagen? Gibt es Peercliquen? Dieses Verständnis hilft, Gruppenprozesse in der Klasse sichtbar zu machen und gemeinsam Strategien zu besprechen, wie ein unterstützendes Miteinander gelingt.

Die soziale Dynamik einbeziehen

Basierend auf diesen Informationen können Sie die soziale Dynamik Ihrer Klasse bei Gruppenaktivitäten einplanen. Die Organisation der Sitznachbarinnen und Sitznachbarn kann ebenfalls auf dieser Grundlage strategisch erfolgen: beispielsweise, um Brücken zwischen Kindern zu bauen, die sonst nur wenige Berührungspunkte haben.

Vorbild für soziale Beziehungen sein

Sie als Lehrperson können als positives Rollenbild vorangehen und die Schülerinnen und Schüler ihren Bedürfnissen entsprechend fördern und unterstützen. Negative Interaktionen wie Tadel vor der Klasse hingegen beeinträchtigen das soziale Ansehen des jeweiligen Kindes langfristig. Wichtig ist für die Kinder zu wissen, dass sie auf die Lehrperson zählen können, wenn sie Ziel von negativen Peerinteraktionen werden. Ein Nichteingreifen wiederum kann als Toleranz für Ausschluss missverstanden werden. Stattdessen können Sie inklusive Klassennormen vermitteln, die deutlich machen, dass alle dazugehören und dies explizit gewünscht ist.

Schliesslich: ein Freundschaftsprojekt starten?

Das Freundschaftsprojekt ist ein Lehrmittel, das die obigen Ansätze integriert. Anhand der intensiven Auseinandersetzung mit dem Kinderkrimi «Die Buschbanditen: Gefahr für Herrn Tännli» von Katja Alves können Sie während sechs Wochen Offenheit im Umgang mit dem Thema «Anderssein» fördern und somit die Grundlage für ein positives Miteinander legen. In gezielten Diskussionen und vertiefenden Übungen werden die Kinder angeleitet, Zuschreibungen und negative Haltungen zu hinterfragen, Berührungsängste abzubauen, Ähnlichkeiten zu entdecken, Gruppenprozesse zu verstehen und soziale Konflikte zu lösen. Ausserdem lernen sie, bei Ausschluss, Mobbing und Diskriminierung einzugreifen. Die Buschbanditen sind sich trotz unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und sozialem Hintergrund ähnlicher als zuerst gedacht und entwickeln daraus ein Modell von Freundschaft. Weitere Informationen zu diesem Projekt der PH Luzern finden Sie hier.

Eine gross angelegte randomisierte Studie mit 67 Schulklassen begleitete das Freundschaftsprojekt, und erste Ergebnisse zeigen positive Effekte: Zum Beispiel waren Kinder in Klassen, die das Programm durchführten, über die Zeit hinweg eher bereit, Freundschaftsbeziehungen einzugehen, als Kinder in Klassen, die das Programm nicht durchführten. Dabei kamen auch Freundschaften zwischen Kindern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf häufiger vor.

freundschaftsprojekt.ch


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