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Neue Autorität

Durch Beziehung gegen Gewalt

In immer mehr Schulen wird der Ansatz der «Neuen Autorität» ­angewendet. Bei dieser Methode, die sich an Ideen des gewaltlosen Widerstands anlehnt, steht die Beziehung im Vordergrund. Statt ein Kind zu bestrafen, suchen die beteiligten Erwachsenen mit ihm gemeinsam nach Lösungen, zeigen ihm ihre Wertschätzung und stehen gleichzeitig gegen gewalttätiges Verhalten ein.

Leon und Noah haben eine hitzige Diskussion im Klassenzimmer. Plötzlich beginnt Noah, heftig auf Leon einzuschlagen. Die Lehrerin, Frau Meier, interveniert. Sie ruft die Klasse zur Ruhe, alle Schülerinnen und Schüler begeben sich auf ihre Plätze. Frau Meier geht zu Noah und sagt zu ihm: «Wir dulden nicht, dass du andere Leute schlägst. Wir reden später darüber.» In der Pause spricht Frau Meier mit dem Heilpädagogen, der Sportlehrerin und der Rektorin über den Vorfall. Am Nachmittag hat die Klasse Sportunterricht. Die Sportlehrerin nimmt Noah in einem ruhigen Moment zur Seite und sagt: «Ich habe gehört, dass du Leon geschlagen hast. Andere zu schlagen, geht gar nicht. Ich weiss, du kannst das besser!» Nach Schulschluss läuft Noah der Rektorin über den Weg. Auch sie spricht ihn auf den Vorfall an: «Kinder zu schlagen, ist nicht in Ordnung, das musst du wiedergutmachen. Ich unterstütze dich dabei.» Im Idealfall können auch die Eltern involviert werden und Noah auf sein Verhalten ansprechen – ohne zu drohen oder zu bestrafen, ohne Machtdemonstration, aber mit klarer Entschiedenheit gegen gewalttätiges Verhalten.

Neue Autorität

Beim hier beschriebenen fiktiven Beispiel handelt es sich um den Ansatz der «Neuen Autorität», der vom israelischen Psychologen Haim Omer entwickelt worden ist. «Der Ansatz der ‹Neuen Autorität› beruht auf der Idee des gewaltlosen Widerstands. Im Zentrum steht die Beziehungsorientierung, die gegenseitige Unterstützung, das gemeinsame Handeln und die Überlegung, wozu man etwas macht», erklärt Claudia Seefeldt, Mitinhaberin und Partnerin am Institut für systemische Impulse, das Kurse zur «Neuen Autorität» anbietet. Dies im Gegensatz zu einer Autorität, die auf Machtdemonstration, Furcht und Bestrafung setzt.

Der Begriff entstand vor etwa zwölf Jahren, vorher nannte man den Ansatz «Elterliche Präsenz». «Ein passenderer Begriff wäre eigentlich ‹verbindende Autorität›, denn es geht darum, sich mit anderen Erwachsenen zu verbinden, zu reflektieren, die verschiedenen Perspektiven unterschiedlicher Personen zu nutzen und gemeinsam zu handeln», sagt Claudia Seefeldt. Zentral ist: Das Verhalten wird nicht akzeptiert, dagegen positionieren sich alle Involvierten klar. Trotzdem signalisieren sie dem Kind, dass sie mit ihm in Beziehung bleiben wollen. Denn das ist das Ziel der «Neuen Autorität», die Sicherung oder gar Festigung der Beziehung. Das zeigt sich auch bei der eingangs geschilderten Szene: Noahs Bezugspersonen sind präsent und machen ihm klar, dass sein Verhalten inakzeptabel, er ihnen als Mensch aber wichtig ist. Diese Aussage ist begleitet von konkreten Beziehungsangeboten. Und was, wenn diese vom Kind nicht angenommen werden? Dann bleibt man trotzdem bei der gewählten Strategie, unterbreitet dem Kind weiter Beziehungs- und Versöhnungsangebote und stellt sich nach wie vor klar gegen das problematische Verhalten. «Manchmal brauchen Kinder auch Zeit, um auf ein solches Angebot einzusteigen», betont Claudia Seefeldt. «Beharrlichkeit ist ein wichtiger Aspekt.»

Der Grundsatz lautet: Man muss das Eisen schmieden, wenn es kalt ist, soll also nicht ­inmitten der Eskalation versuchen, das Problem zu lösen.
Claudia Seefeldt

Steigende Heterogenität in Schulen

Der pädagogische Ansatz wurde ursprünglich für den Umgang mit hocheskalativen, gewalttätigen Situationen in Familien entwickelt, kommt mittlerweile aber auch häufig in Schulen zum Einsatz. Denn dort ist die Heterogenität gestiegen, unter anderem aufgrund von Inklusion und mehr Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund. Auch haben die Kinder mit immer mehr Erwachsenen zu tun: mit den Klassenlehrpersonen, die eventuell im Teamteaching unterrichten, dem Heilpädagogen, dem Schulpsychologen, der Logopädin etc. «Entscheidend ist, dass diese gut zusammenarbeiten und A weiss, was B macht», sagt Claudia Seefeldt, die auch als Coach und Supervisorin tätig ist.

Der Grundsatz lautet: Man muss das Eisen schmieden, wenn es kalt ist, soll also nicht inmitten der Eskalation versuchen, das Problem zu lösen. «Wenn etwa die Lehrperson den Auftrag gibt, dass alle Kinder ihre Hefte öffnen sollen, und ein Kind weigert sich, kann die Lehrperson nur verlieren, wenn sie sich durchsetzen will. Gemäss dem Ansatz der ‹Neuen Autorität› teilt sie dem Kind mit, dass sie später darauf zurückkommen wird.» Unerlässlich ist, dass sich die Lehrperson Unterstützung holt, also andere Personen involviert, genauso wie im oben stehenden Beispiel, damit sie das Kind ebenfalls auf sein Verhalten ansprechen.

Positive Momente erzeugen

Bei der «Neuen Autorität» handelt es sich um einen handlungsorientierten Ansatz. Bei einem Fehlverhalten gibt es verschiedene Interventionsmöglichkeiten, in Noahs Fall etwa die Präsenzdemonstration des Unterstützer-Netzwerks.

Was, wenn Noah trotzdem wieder zuschlägt? «Dann kann man zum Beispiel eine Ankündigung machen», sagt Claudia Seefeldt. «Wir halten schriftlich fest, was wir gesehen haben, ohne zu beschuldigen, etwa: ‹Die Situation im Klassenzimmer ist zu aggressiv. Wir setzen uns für ein respektvolles, wertschätzendes Miteinander ein. Wir werden alles tun, damit sich das Klima verbessert. Wir werden präsenter sein in deinem Leben. Und wir tun das, weil du uns wichtig bist.›»

Diese Information wird in einem ruhigen Moment von zwei bis drei Erwachsenen dem Kind übergeben und vorgelesen. Am nächsten Tag kommen dann vielleicht die Rektorin, die Sportlehrerin und der Hauswart auf das Kind zu und sagen ihm, dass sie vom Brief gehört haben und das Geschriebene ebenfalls unterstützen. Wichtig sind dann Beziehungsangebote, unabhängig vom Verhalten. Eine Lehrperson lobt etwa das coole T-Shirt, welches das Kind trägt. Eine andere stellt sich zu dem Kind, sagt hallo und fragt, wie es ihm geht. «So werden viele positive Momente generiert, die dem Kind Sicherheit und Selbstvertrauen geben und es im Idealfall dazu veranlassen, sein Verhalten kritisch zu hinterfragen und letztlich zu ändern», sagt Claudia Seefeldt.

Die Haltung, die hinter dem Ansatz steht, unterstützt gemäss Claudia Seefeldt auch bei Elterngesprächen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Lehrpersonen mit den Eltern eine gute Kommunikation und Verbindung aufbauen können, erhöht sich. Mittlerweile ist das Konzept der «Neuen Autorität» so erfolgreich, dass es auch in ­Kinder- und Jugendeinrichtungen zur Anwendung kommt.

neue-autoritaet.ch


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