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Pro & Kontra

Öffentliche Schule als Kitt der Gesellschaft?

Was ist besser, die Volksschule oder eine Privatschule? Beat A. Schwendimann vom LCH und Privatschullehrerin ­Nadine Susewind kreuzen argumentativ die Klingen.

Pro

Die öffentliche Schule der Schweiz leistet einen ­essenziellen Beitrag zum sozialen ­Zusammenhalt.
Beat A. Schwendimann, Pädagogischer ­ Leiter LCH

Dr. Beat A. Schwendimann, Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle des Dachverbands Lehrerinnen und ­Lehrer Schweiz (LCH), Erziehungs­wissenschaftler, Gymnasiallehrer

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Beat A. Schwendimann, Pädagogischer ­ Leiter LCH

Die Schweiz ist zu Recht stolz auf ihre starke öffentliche Schule. Die Bedeutung und Qualität der Schweizer Volksschule zeigt sich unter anderem darin, dass im Unterschied zu anderen Ländern in der Schweiz die überwiegende Mehrheit der Kinder, nämlich 87 Prozent, die öffentliche Schule besucht.1

Die öffentlichen Schulen in der Schweiz leisten eine hervorragende Arbeit auf hohem Niveau, wie sich regelmässig in internationalen Vergleichsstudien zeigt. Diese legen deutlich dar, dass Privatschulen nicht besser sind als unsere Volksschule. Dies manifestiert sich auch in der wiederholten, deutlichen Ablehnung in Abstimmungen zur Förderung von Privatschulen mit Steuergeldern (Bildungsgutscheinen) und freier Schulwahl. Eine Privatisierung des Bildungswesens würde die Qualität also nicht verbessern – im Gegenteil. Dies wird dadurch illustriert, dass die Einführung von Bildungsgutscheinen und freier Schulwahl in vielen Ländern nicht zu einer besseren Qualität geführt hat. Unsere öffentlichen Schulen halten im internationalen Vergleich sehr gut stand und dürfen daher weder privatisiert noch nach marktwirtschaftlichen Mechanismen einem unproduktiven Wettbewerb unterworfen werden.

Die Volksschule ist eine bedeutende historische Errungenschaft der Schweiz. Sie wurde vor gut 200 Jahren geschaffen und für alle Kinder für obligatorisch erklärt. Es standen dabei drei zentrale Anliegen im Vordergrund: gleiche Bildungsziele für alle, Chancengleichheit und sozialer Zusammenhalt. Diese Anliegen sind heute wichtiger denn je und sind in der Bundesverfassung und den kantonalen Bildungsgesetzen verankert. Die öffentliche Schule ist als «Service public» eine grundlegende Staatsaufgabe. Es wäre daher problematisch, wenn der Staat seine Verpflichtung an private Einrichtungen delegieren würde. Eine Privatisierung der Volksschule würde die politische Einflussnahme vermindern und damit die demokratische Mitwirkung und Kontrolle.

Der Zweck der Volksschule ist nicht nur die individuelle Grundbildung sicherzustellen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt unserer demokratischen Gesellschaft zu leisten. Der Zusammenhalt und die Chancengerechtigkeit sind seit der Etablierung der öffentlichen Schule zentrale Elemente. Wohlhabende Eltern konnten sich immer schon eine gute Bildung für ihre Kinder leisten, durch private Tutoren oder Privatschulen. Erst die Volksschule hat Bildung für alle Schichten der Bevölkerung zugänglich gemacht.

Die Volksschule ermöglicht eine Begegnung von Schülerinnen und Schülern aus allen sozialen Schichten und verschiedenen Kulturen. Öffentliche Schulen legen eine gemeinsame Basis für einen späteren Dialog in einer aktiv gelebten Demokratie und für den sozialen Zusammenhalt. Demokratische Konsensfindung und konstruktiver Dialog sind nur möglich, wenn man eine gemeinsame Grundlage hat. Im Unterschied dazu haben Schulen, die von privaten Trägerschaften betrieben werden (Privatschulen, freie Schulen wie «Charter Schools»), grundsätzlich einen segregativen Charakter, entweder durch eine bestimmte religiöse Ausrichtung oder indem sie Familien bestimmter Schichten anziehen. Die Volksschule war und ist einer der tragenden Grundpfeiler des modernen liberalen Bundes­staates. Insbesondere in einer zunehmend pluralistischen, globalisierten Gesellschaft gewinnt die Volksschule als Ort der Sozialisierung und Vermittlung gemeinsamer Werte an Bedeutung. Die öffentliche Schule der Schweiz leistet einen essenziellen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt, zu unserer demokratischen Gesell­schaft und zu einer chancengerechten Bildung auf hohem Niveau.

Quelle:

1 Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung SKBF, Aarau (2018): Bildungsbericht Schweiz, S. 32, https://www.skbf-csre.ch/fileadmin/files/pdf/bildungsberichte/2018/... (aufgerufen im Mai 2020)

Kontra

Für Privatschulen spricht der Wegfall von umfassenden formalen Abläufen, was ein schnelleres Handeln in kom­plexen Situationen ermöglicht.
Nadine Susewind, Privatschullehrerin

Nadine Susewind, Sekundar- und Gymnasiallehrerin, seit acht Jahren im Privat­schulbereich in der Schweiz tätig, davon 2,5 Jahre als Co-Schulleiterin in einer Privatschulabteilung im Thurgau, aktuell Lehrperson an der jüdischen Schule Noam in Zürich, langjährige ­Erfahrung in den Bereichen Coaching, autonomes und personalisiertes Lernen

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Nadine Susewind, Privatschullehrerin

Private Bildungsträger haben in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen – ­allein im Kanton Zürich gab es im Jahr 2019 knapp 180 bewilligte private Kindergärten, Primar- und Sekundarschulen und Gymnasien.1 Laut der aktuellsten Erhebung des Volksschul­amtes Zürich (VSA) werden rund sieben Prozent aller Schülerinnen und Schüler des Kantons Zürich in der Schweiz in Privat­schulen unterrichtet. Privatschulen haben in der Gestaltung der Lehr- und Lernkonzepte vielfältigere Möglichkeiten und Freiheiten und somit einen Mehrwert gegenüber öffentlichen Schulen: Zusätzlich zur Bewilligung durch den Kanton können Privat­schulen verschiedenartige pädagogische Konzepte verfolgen. Dies führt zu Innovationen in der Bildungslandschaft und insbesondere zu alternativen Fördermöglichkeiten.

Während sich das öffentliche Schulsystem sowie die Wirtschaft noch hauptsächlich am Leistungsniveau (im Sinne von Noten) – und damit an einem eher einseitigen Bildungsgedanken – orientieren, verfolgen die meisten Privatschulen einen anderen Ansatz. Flächendeckend stehen dort drei Säulen im Zentrum: Individualität, Persönlichkeit und Beziehung. In Kombination mit den im Lehrplan vorgegebenen Zielen führt dies zu einer vom Kind her gedachten und damit erfolgreicheren Pädagogik.2 Diese ermöglicht die Verwirklichung pädagogischer Ideale; die verschiedenen Bedürfnisse der Lernenden sind im Mittelpunkt.

Zusätzlich spricht für Privatschulen der Wegfall von umfassenden formalen Abläufen, was ein schnelleres Handeln in komplexen Situationen sowie ein rasches Reagieren und Eingehen auf den einzelnen Jugendlichen gewährleistet. Durch die höhere Flexibilität können kollektive Lehrpläne durch individuelle ersetzt werden. Schon jetzt gibt es Privatschulen im Kanton Zürich, die mit detaillierten Kompetenzrastern oder Portfolios arbeiten und auf Zeugnisnoten verzichten. Die Selbstwirksamkeit und das Selbstbewusstsein (die innere Identität) der Lernenden stehen als Grundlage für ihren erfolgreichen Weg im Vordergrund – nicht das «Befüllen des Kindes» mit Inhalten.

Ein weiteres Argument für Privatschulen sind die kleineren Lerngruppen. Diese unterstützen die individuelle Förderung und stärken die Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden. Durch intensives Coaching und die Auseinandersetzung mit dem Einzelnen können die Potenziale der Jugendlichen ausserhalb des klassischen Bildungskanons entdeckt und besser gefördert werden. Im Fokus ist, was das Kind in der konkreten Lernsituation benötigt. Verständlicherweise ist dieser individuelle und damit intensive Ansatz für eine Lehrperson, die an einer öffentlichen Schule eine grosse Klasse unterrichtet, nicht immer zu realisieren, da häufig Ressourcen fehlen (zum Beispiel Zeit, Personal).

Es lässt sich nicht abstreiten, dass die öffent­lichen Schulen auf den gesellschaft­lichen und wirtschaftlichen Wandel reagieren. Jedoch noch zu zögerlich. Das personali­sierte Denken kann im öffentlichen Bereich unter anderem aus oben genannten Gründen nicht im gleichen Umfang umgesetzt werden. Neben den flexibleren Möglichkeiten von Zusatzangeboten steht an Privatschulen zudem der gemeinsame Nenner des Schulkonzeptes im Fokus. Natürlich spielt hier auch die Auswahl der Lehrpersonen eine entscheidende Rolle. Hat in der öffentlichen Schule hierbei eine Schulbehörde die letzte Entscheidungsgewalt, kann an einer Privatschule der Vorstand, die Geschäftsleitung und/oder die Schulleitung stärker gestalten.

Zusammenfassend gibt es viele Argumente für die Wahl einer Privatschule. Wobei wichtig zu betonen ist, dass eine Privatschule nicht per se gut ist, nur weil sie eine Privatschule ist. Auch hier kann die Qualität variieren. Aber die Überzeugung, dass Bildung und somit auch Pädagogik vom Kind her gedacht werden müssen, liegt allen Privatschulen zugrunde.

Quellen:

1 Kanton Zürich, Volksschulamt (2019): Öffentliches Register Privatschulen, https://vsa.zh.ch/internet/bil... (aufgerufen am 6. Februar 2020)

2 Vgl. auch Remo H. Largo (2010): Lernen geht anders, Körber-Stiftung


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