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Kolumne

Mein Kind ist halt ­anspruchsvoll

So manches Kind tanzt seinen Eltern auf der Nase herum. Das würden die Eltern aber natürlich nie so nennen.

Im Winter kommt man ja des Öfteren ganz nahe an andere Eltern ran. Weil es draussen regnet. Weil es drinnen nach ein paar Stunden mit bewegungsfreudigen Kindern nicht mehr auszuhalten ist. Weil die winterlichen Kinderbeschäftigungsprogramme der meisten Aufsichtspersonen sich ähneln und man also die gute Idee Technorama/Zoo/Verkehrshaus etc. mit ganz vielen anderen Familien und Patentanten teilt. Da hört man dann die Erwachsenen am Nebentisch dem Nachwuchs das Schlürfen verbieten und glaubt sich selber reden zu hören. Denn Eltern haben nicht nur dieselben Ideen zur Kinderbeschäftigung, sie haben im Grossen und Ganzen auch dieselben Erziehungsanliegen. Die meisten Eltern jedenfalls.

Es gibt aber auch Mütter und Väter, die sich um Erziehung foutieren. Selbstverständlich würden sie das nie so nennen. Das Resultat ist das gleiche: Der Nachwuchs tut, was er will. Mutter und Vater gehorchen.

Zur Autorin

Nicole Althaus ist Kolumnistin, Autorin und Chefredaktorin Magazine der NZZ. Sie hat zuvor den Mamablog für Tages­anzeiger.ch lanciert und das Familienmagazin «wir eltern» geleitet und neu positioniert. Nicole Althaus hat zwei ­Töchter im Teenageralter und lebt in der Nähe von Zürich.

Die Sozialverträglichkeit dieser Kinderaufzuchtsweise konnte man neulich im Technorama geradezu modellhaft studieren: Das Haus war gut besucht und die Kinder fanden naturgemäss die gleichen Experimente am spannendsten. Etwa den Pendel, der ein Kreis- oder Kurvenmuster zeichnet, je nachdem wie man ihn anstösst. Brav stellten sich die Kinder auf Geheiss ihrer Eltern in die Schlange, warteten, bis sie an der Reihe waren, stiessen das Pendel an und traten mit der Zeichnung wieder ab. Es ging lebhaft, aber ganz gesittet zu und her. Bis das blonde Mädchen auf der Bildfläche erschien.

«Ich will auch!», sagte die ungefähr Fünfjährige und drängte sich zum Pendel vor. Ihre Mama flötete: «Schau, da hats eine lange Schlange, das machen wir später.» «Nein, jetzt», antwortete das Mädchen und schubste den dreijährigen Jungen, der gerade das Pendel anstossen wollte, weg. Der Junge weinte. Die Mädchenmama sagte: «Du musst den Jungen fragen, ob es ihm recht ist, wenn du zuerst pendelst.» Das Mädchen jedoch war sich gewohnt, dass allen alles recht war, was es tat. Es kümmerte sich nicht um den Jungen, um die Mama, um die lange Kinderschlange und stiess das Pendel an. Zweimal. Dreimal. Die Mama lobte: «Schön machst du das, nun kommt aber das nächste Kind an die Reihe, gell?» Das Mädchen schüttelte den Kopf.

Da stellte sich die Jungenmama vor das Mädchen und sagte: «Doch, jetzt ist er dran!» Ungerührt stiess das Mädchen das Pendel nochmals mit aller Kraft an. Der Junge brach erneut in Tränen aus, was die Mädchenmama veranlasste, ihn zu trösten: «Du möchtest doch auch einmal, gell. Aber das hat sie nicht absichtlich getan. Sie ist eben anspruchsvoll und nie mit dem ersten Anlauf zufrieden.»

Ja, liebe Leserschaft, so klingen Eltern, die vom eigenen Nachwuchs regiert werden. Und falls Ihnen die Sprachregelung der Unterdrückten noch nicht geläufig ist, hier eine Übersetzungshilfe für die wichtigsten Interaktionen an öffentlichen Orten: «Mein Kind ist halt anspruchsvoll» meint nichts anderes, als dass es egozentrisch ist und nicht gehorcht. Glauben Eltern, ihr Sohn oder die Tochter habe besondere Bedürfnisse, braucht der Nachwuchs wahrscheinlich stets eine Extrawurst und reagiert erst, wenn er von der Lehrerin vor die Tür gestellt wird. Und wenn solche Eltern die besondere Kreativität ihrer Kinder loben, dann spielen diese gern Tsunami in fremden Kinderzimmern und grundsätzlich nur nach den eigenen Regeln.


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